Yoga ist keine Praxis für den Körper!!! Und doch ist unser Körper, ein essenzieller Teil der Praxis. Wie geht beides zusammen?
Wie bei fast allem im Yoga spielt auch hier die Intention, warum wir tun was wir tun, die entscheidende Rolle. Während wir Sport betreiben um gesund, fit und vielleicht schlank unseren Alltag zu bestreiten, geht Yoga einen Schritt weiter. Gesundheit und Fitness sind nicht das Endziel, sondern sie dienen dazu Prana (unsere Lebensenergie) frei durch den Körper fließen zu lassen und unsere Beziehung zu uns selbst zu vertiefen.
Wir alle kennen das, wir praktizieren Yoga, aus welchem Grund auch immer, und nach einer Weile stellen wir fest: wir fühlen uns besser, nicht nur körperlich! Wie kann es sein, dass wir unseren Körper in verschiedene Haltungen und Verrenkungen bringen und uns danach auf wundersame Weise entspannter, gelassener, vielleicht sogar zufriedener fühlen? Basierend auf der Yogaphilosophie und meinen eigenen Erfahrungen in der Praxis erkläre ich warum Yoga keine reine Praxis für den Körper ist und doch alles im Körper beginnt und zu ihm zurückführt.
Die Koshas
Im Yoga bestehen wir aus 5 Koshas (Hüllen), die zusammen unser ganzes Wesen ergeben. Zwar bauen diese Hüllen von der äußersten, die unseren physischen Körper bildet, bis zur innersten, die aus unserer Seele besteht, aufeinander auf, aber weil das zu einfach wäre, sind sie auch gleichzeitig miteinander verwoben. Wenn wir mit einer dieser Hüllen arbeiten, oder dort etwas passiert, wirkt sich dies auch automatisch auf alle anderen Hüllen aus. Die fünf Koshas sind: Annamaya Kosha – die physische Hülle, Pranamaya Kosha – die Energie Hülle, Manomaya Kosha – die Geist Hülle, Vijnamaya Kosha – die Weisheitshülle, und Anandamaya Kosha – die spirituelle Hülle, oder Seele. Schauen wir uns also an, was diese Hüllen jeweils ausmacht und wie unsere Asana Praxis sie berührt.
Annamaya Kosha – die physische Hülle
Dies ist unser physischer Körper, die aus Nahrung (Anna) bestehende (Maya) Hülle (Kosha). Sie umfasst unsere Zellen, Gewebe, Organe, Muskeln, Strukturen und Systeme. Der Körper ist die grobstofflichste der Hüllen und die am leichtesten für uns zugängliche. Alles was wir leben nennen passiert hier im Körper: unsere Sinne, unsere Gedanken, unsere Gefühle und unsere Erfahrungen. Unser Körper ist die Hardware die alles abspeichert, was uns gerade passiert, was wir vergessen haben, sowie Hintergrundprozesse die wir weder sehen, noch wahrnehmen (Unterbewusstsein).
Das Betriebssystem kann aber nur einwandfrei funktionieren wenn alle Leitungen frei sind und keine Störungen vorhanden sind. Unsere körperlichen Leitungen können durch sogenannte Granthis (Knoten) blockiert sein. Ein Beispiel wie diese energetischen Knoten im Körper entstehen können, ist wenn wir emotional verletzt wurden und unser Herz, zum Schutz, verschließen. Es sind die zusammengezogenen Schultern, die zur Gewohnheit werden, der angespannte Kiefer, die steifen Hüften etc. Und die größte Störung unseres Systems in der heutigen Zeit (das ist keine große Überraschung) ist Stress. Der in Ausnahmefällen so chronisch ist, dass er nicht einmal mehr als solcher wahrgenommen wird.
Hier setzen die Asanas an. Indem wir den Körper mal kraftvoll, mal sanft bewegen, behutsam öffnen und geschmeidig machen und achtsam stärken und kräftigen heilen wir ihn (man könnte auch sagen: wir warten die Hardware). Wir stärken nicht nur die Muskeln und dehnen sie, sondern durch die Kombination mit bewusstem Atmen und Achtsamkeit öffnen wir den Körper weiter, wir leiten überflüssige Spannung ab, wir aktivieren den parasympathischen Teil unseres Nervensystems (Entspannung & Regeneration) und geben den Körpereigenen Heilungsprozessen so die Chance ihre Arbeit zu machen. Mehrere Forschungen haben mittlerweile gezeigt wie Yoga anderen Bewegungsformen gleicht, oft auch übertrifft wenn es unter anderem auch darum geht Stress zu reduzieren und Schlaf zu verbessern. Das ist die Basis, damit fängt jede Selbstfürsorge an.
Übungen für Annamaya Kosha: Yogaasana, Bewegung allgemein, Tanz, Ernährung.
Kleiner Disclaimer, wie immer gilt: wenn ich über Krankheiten und Gesundheit rede, ist dies nie eine Aufforderung nicht zum Arzt zu gehen, wenn du etwas hast.
Pranamaya Kosha – die Energie Hülle
Die nächst feinere Hülle ist die Prana, oder Energiehülle. Prana ist was uns am Leben hält, es ist die Lebensenergie, die Vitalität und unser Atem. Aber auch hier spielt unser Körper eine elementare Rolle. Mit zusammengezogenen Schultern können wir nicht voll atmen. Mit einem chronisch angespannten Bauch können wir nicht voll atmen. Unser Körper weiß wie er geatmet werden muss, um uns mit Sauerstoff zu versorgen, indem wir ihn muskulär öffnen und weich werden lassen, können wir diesen Prozess unterstützen.
Aber Prana ist nicht nur unser Atem. Die Menge an Prana in uns bestimmt wieviel Energie wir zur Verfügung haben, um unseren Alltag zu bestreiten. Wenn wir ständig erschöpft sind, dann haben wir aus yogischer Sicht einen Pranamangel (der natürlich wiederum verschiedene Ursachen haben kann, die häufigste ist -wieder- Stress). Wenn wir also mit dem Körper achtsam arbeiten, schulen wir auch unser Stress- und damit unser Energiemanagement. Wir werden sensibler dafür wann wir zuviel tun und eine Pause brauchen, aber auch wann wir zu wenig tun (was Trägheit erzeugt, auch eine Form von Pranamangel) und uns ein bisschen pushen müssen und sollten. So hilft uns die körperliche Praxis die Fähigkeit zu erlangen schneller und effektiver einzugreifen und Entscheidungen für unser Wohlbefinden zu treffen.
Übungen für Pranamaya Kosha: Energiearbeit (z.B. Visualisationen), Reiki, QiGong, Asana, Pranayama, Bewegung.
Manomaya Kosha – die Geist Hülle
Diese Hülle beinhaltet unsere Gedanken, Glaubenssätze und Gefühle. Dies ist die Hülle in der die meisten von uns Zuhause sind und über die wir gleichzeitig die geringste Kontrolle zu haben scheinen, denn ca. 95% ihrer Funktionen sind unterbewusst und laufen unter unserem Radar. Um auf diese verborgenen 95% zuzugreifen, brauchen wir den Körper!!!
Unser Gehirn ist eins der größten Wunder der Natur und seine Hauptaufgabe ist es unser Überleben zu sichern. Es ist so gut in seinem Job, dass es uns dafür eigentlich gar nicht braucht. Es unterdrückt Gefühle die es als zu schmerzhaft für uns erachtet und es bildet aus Erfahrung Glaubenssätze & Gewohnheiten die uns sicher halten. Eigentlich alles Tutti, der einzige Haken: um uns sicher zu halten agiert das Gehirn aus Angst, am liebsten will es keine Risiken eingehen und nix neues ausprobieren und es sind ihm alle Mittel recht uns in der Komfortzone aus altbekanntem zu halten. Folgen wir unserem Geist bedingungslos, leben wir nur ein halbes Leben.
Wir probieren nie was neues, weil wir nicht wissen wie es ausgehen wird. Wir lassen uns nie komplett in Freude, Liebe, Vertrauen fallen, weil sie die Möglichkeit von Enttäuschung und Schmerz beinhalten. Was dann passiert ist, dass wir ein sicheres Leben in Grau führen, wo wir nie fallen, nie enttäuscht werden, vielleicht nie leiden, aber auch nie außergewöhnlichen Erfolg ernten, nie ganz von unseren Gefühlen erfüllt werden, nie wachsen. Und das meine lieben Freunde ist der größte Schmerz. So was hat das mit Körper zu tun???
Zwei Sachen. Erstens: solange wir im Sympathischen Teil (Fight, flight & freeze) unseres Nervensystems verharren, sind wir gar nicht in der Lage unsere Glaubenssätze und Ängste zu überprüfen und zu schauen, was davon für uns sinnvoll ist und was nicht. Erst wenn wir unseren Körper bewusst entspannen, haben wir die Fähigkeit unsere Gedanken und Gefühle zuzulassen, ihre Ursprünge zu verstehen und sie gegebenenfalls zu shiften. Dann sind wir auch in der Lage uns bewusst für Vertrauen ins Leben, und alles was es uns zu bieten hat, zu entscheiden. Erst dann können wir Resilienz aufzubauen für jene Momente in denen wir fallen, scheitern, Herausgefordert werden und schmerzen.
Zweitens: es ist in der physischen Praxis, in der wir überhaupt ein Bewusstsein für unseren Geist und Muster entwickeln. In herausfordernden Haltungen haben wir die Möglichkeit zu schauen, ob wir uns durchbeißen, egal um welchen Preis, ob wir aufgeben, noch bevor es anstrengend wird, oder ob wir uns gemäßigt durchführen können. Wir können die Sprache wie wir mit uns selbst in diesen Situationen reden beobachten, z.B. ob wir uns fertig machen, oder loben und motivieren. In Entspannten Haltungen können wir darauf achten, ob wir überhaupt in der Lage sind Ruhe auszuhalten, mehr noch genießen können, oder ob wir zappelig werden, oder sofort im Kopf hin & her laufen. Wir können darauf achten ob wir in diesen ruhigen Momenten Gefühle zulassen können und falls ja, was sie uns sagen wollen. Denn Gefühle und Empfindungen sind die Sprache unseres Körpers.
Die Voraussetzung um uns zu entwickeln und zu wachsen, um etwas an uns, oder unserem Leben zu verändern (wenn das unser Ziel ist) ist zu wissen womit wir starten. Wir müssen uns selbst ehrlich in den Spiegel schauen und ein Gespür dafür entwickeln, wann wir wieder in gewohnte Muster verfallen, dafür ist die physische Praxis unerlässlich.
Ein Paar Infos aus der Forschung
Forscher der Universitäten Boston und Harvard haben herausgefunden, dass die Gehirne von Yogapraktizierenden eine Steigerung in Neurotransmittern aufweisen, die als Antidepressiva fungieren. Weitere Forschungen haben 2009 gezeigt dass Yoga die Aktivität der rechten Gehirnhälfte steigert, die Kreativität beherrscht. 2010 haben Analysten der Universität von Maryland herausgefunden dass Yoga (oft mehr als andere Sportarten) Ängste reduziert und die Stimmung hebt. Kein Wunder dass wir Yoga so gern praktizieren 😉
Übungen für Manomaya Kosha: Asana, Meditation, Neues ausprobieren und lernen.
Vijnamaya Kosha – die Weisheitshülle
Dies ist die vorletzte Hülle und eine der feinstofflichsten. Hier ist unsere Weisheit, unser inneres Wissen, unser Bewusstsein und unsere Intuition Zuhause. Manche hören ihre Weisheit, manche sehen Bilder, viele spüren sie. Unsere Weisheit macht manchmal keinen Sinn, sie folgt keiner Logik und egal ob wir darauf gehört haben, oder nicht, wir alle kennen diese Momente wo wir einfach wissen: das wird jetzt richtig gut, das ist keine gute Idee, Tante Inge ruft jetzt an …
Egal über welchen Kanal wir unsere Weisheit wahrnehmen sie ist immer subtil, leise und flüchtig, sobald wir an ihr zweifeln ist sie weg. Wollen wir öfter auf sie zugreifen, müssen wir erstmal unser Feingefühl schulen, dass tun wir in der physischen Praxis. Danach üben wir ihr öfter zu vertrauen, vielleicht erst bei kleinen Dingen. Um mehr über deine Intuition zu lernen und wie du sie trainieren kannst, lese gerne hier den Artikel zu Intuition und dem sechsten Chakra.
Übungen für Vijnamaya Kosha: Meditation, Embodiment.
Anandamaya Kosha – die spirituelle Hülle
Ananda bedeutet so viel wie Wonne. Anandamaya Kosha ist die letzte und damit die feinste und subtilste Hülle. Auch wenn sie in diesem Modell eine der Hüllen ist, empfinde ich Anandamaya Kosha nicht als Hülle, sondern eher als Kern. Sie ist der Teil von uns der erkennt dass Frieden und Freude frei sind von Körper, Energie, Gedanken und Emotionen und sie gleichzeitig alle beinhaltet. Manche bezeichnen diese Hülle auch als unsere Seele, oder unsere wahre Essenz, die aktiviert bzw. zum Vorschein kommt, wenn wir uns öffnen für das was unter all den vorangegangenen Hüllen liegt.
Ausnahmsweise ist dies nichts was wir in unserer physischen Praxis üben können, was die Praxis aber macht ist uns vorbereiten. Wir stärken, harmonisieren und trainieren unser Bewusstsein in den ersten vier Hüllen, damit wir offen sind die Wonne unserer Seele zu empfangen und das Vertrauen haben ihr zu folgen.
Mein Körper ist mein Tempel und Asana ist mein Gebet
Ja, Yoga beinhaltet physische Praxis, und doch ist sie viel mehr. Ja, Yoga entspannt, und doch ist Entspannung nicht einfach nur Entspannung. Yoga ist eine holistische Praxis, weil es auf alle Ebenen unseres Seins (Koschas) wirkt. Es ist eine spirituelle Praxis, weil es uns auf diesem Weg nach Innen führt. Natürlich können wir Asanas machen, entspannen und uns dabei herzlich wenig dafür interessieren, was währenddessen sonst noch so in uns vorgeht, aber dann machen wir eben Sport, oder Entspannungsübungen, was auch sehr fein ist nur eben kein Yoga. Wobei ich überzeugt bin, dass es egal ist was unsere Intention ist wenn wir die Matte ausrollen, Yoga ist unsere Natur und es wirkt, ob wir es so anstreben, oder nicht!!!