Ich wollte abnehmen, aber mich dabei möglichst wenig, langsam und bequem bewegen, aus diesem Grund bin ich damals das erste Mal in ein Yogastudio gegangen.
Ich hielt mich zu dem Zeitpunkt eigentlich für ziemlich pfiffig. Selbstverständlich hatte ich da auch noch nie irgendeinen Krieger länger als 10s gehalten und sowas wie Krähe, oder Skorpion waren noch nicht auf meinem Bildschirm aufgetaucht.
Gott sei Dank!!! Sonst hätte ich nie erfahren was Yoga eigentlich ist. Nicht ein mehr, oder weniger anstrengender Sport, sondern eine holistische Praxis, die mein Leben von Grund auf verändert hat.
Ich habe natürlich keine Ahnung was dich zum Yoga getrieben hat, aber ich bin mir ziemlich sicher dass es etwas Körperliches war. Schmerzen, Beweglichkeit, Stärke, Yogabooty, you name it.
Was alles nicht verkehrt ist. Um deine Asanapraxis aber aufs nächste Level zu bringen, ist es enorm hilfreich, um nicht zu sagen unerlässlich, die Haltungen nur als einen kleinen Teil des Ganzen zu verstehen.
Zitat 1:
Ein fortgeschrittener Yogapraktizierender
ist nicht jemand der auf seinem Kopf stehen kann,
sondern jemand der in Frieden mit sich selbst ist
und der Welt seinen Dienst anbietet.
Jivana Heyman
Was denkst du wenn dir jemand sagt ich praktiziere Yoga??? Für die meisten bedeutet dieser Satz dass er/sie irgendwelche Verrenkungen auf einer Matte macht. Da reicht es auch ins Fitnessstudio gehen!
Diese Verrenkungen, im Yoga Asana genannt, sind nur der sichtbarste Teil des Yoga und vor allem jener bei dem man den Fortschritt am leichtesten messen kann und für den man die meiste Anerkennung bekommt. Was in der Leistungsorientierten Gesellschaft in der wir leben nicht ganz unbedeutend ist. Aber die Haltungen sind nicht Yoga. Man kann sein Leben lang Asanas praktizieren, super flexibel sein, den perfect Yogabody haben, ohne jemals Yoga zu praktizieren.
Da ich nicht auf dem Mond lebe, verstehe ich natürlich den Ehrgeiz die Haltungen zu meistern und tiefer zu kommen. Mir ging es ja bei meinem vermeintlich bequemen Abnehmversuch Anfangs nicht anders und auch heute habe ich immer noch den Ehrgeiz bestimmte Asanas zu wunderschön auszuführen. Was vollkommen in Ordnung ist!!!
Aber ich verspreche dir wenn du diesen Sekundären Zweck der Asanas einmal aus dem Fokus lässt und dich auf das primäre Ziel der Asanas konzentrierst, nämlich vom Kopf in den Körper zu kommen, vom Denken ins Wahrnehmen (#achtsamkeit) begegnest du dir selbst und dass meine lieben Freunde ist die Magie des Yoga und der Beginn einer wundervollen Entdeckungsreise und deinem vielleicht größten Abenteuer.
Zitat 2:
Wir nutzen nicht den Körper um in die Haltung zu kommen,
wir nutzen die Haltung um in den Körper zu kommen.
Judith Hanson Lasater (glaube ich)
Natürlich brauchen wir unsere Körper um in die Haltungen zu kommen und da ist eine gesunde physische Ausrichtung unerlässlich. Wobei diese viel vielfältiger und individueller ist, als es Standardansagen wie „das Knie auf keinen Fall über einen 90° Winkel beugen“ vermuten lassen.
(Ich empfehle jedem der sich für eine korrekte physische Ausrichtung interessiert Bernie Clarks Buch – Mein Körper, mein Yoga. Augenöffnend.)
Es ist unerlässlich seine physischen Stärken und Schwachstellen zu kennen, sowie seine Schmerzensgrenze zu beachten, um den Körper sicher in die Asanas hineinzuführen. Es macht auch Sinn ein Basic Verständnis dafür zu haben was die Haltung überhaupt physisch von einem will. Aber all das ist nur der erste Schritt. Hat man den Körper erstmal sicher in der Asana positioniert, beginnt erst das eigentliche Yoga.
Übung 1:
Wir gehen in den Körper und finetunen unsere Wahrnehmung für das was in ihm passiert. Die am einfachsten zugängliche Ebene ist die Prana bzw. energetische Ebene. Jede Asana hat energetische Ziele, oder Linien. Eine Möglichkeit unsere Wahrnehmung in den Körper zu bringen könnte sein diese nachzuvollziehen.
Der herabschauende Hund z.B. hat zwei energetische Hauptlinien. Eine aufsteigende Energie von den Händen zum Steißbein (wir drücken uns aktiv mit den Händen aus dem Boden weg, nach oben) und eine herabsteigende, von den Hüften zu den Füßen (die Fersen streben nach unten, wobei sie den Boden nie berühren müssen). Wir könnten auch schauen ob die Energie irgendwo blockiert ist (z.B. wenn man die Linie nur bis zu einem gewissen Punkt spüren kann).
Übung 2:
Eine andere Möglichkeit wäre die Energie in unserem Körper bewusst zu lenken, und z.B. in jene Regionen zu schicken die sich eng, oder angespannt anfühlen. Wir können die Energie hochdrehen, oder runterfahren. Nutze die Asana um mit deiner Energie zu experimentieren und achte darauf wie sich diese Experimente auf dein Empfinden in der Haltung auswirken (wird sie leichter, schwieriger, macht es evtl. keinen Unterschied).
Übung 3:
Zudem können wir darauf achten wie verschiedene Körperteile auf eine Asana reagieren. Wie fühlen sich jene Körperbereiche an die in der Asana arbeiten müssen, wie jene die entspannt sind? Gibt es Körperteile von denen ich weiß dass ich auf sie achten muss? Ich habe Savasanas hinter (und bestimmt auch noch vor mir) in denen ich alle 5s wieder die Schultern wieder & wieder aktiv entspannen muss.
Übung 4:
Du könntest dich auch schlicht fragen ist die Haltungen gerade angenehm, oder nicht? Falls nicht, was kannst du tun um sie angenehmer für den Körper zu gestallten. Wenn du dich in der Asana langweilst, wie kannst du sie etwas anspruchsvoller für dich machen. Oft ist der Unterschied von dem einen zum anderen nur ein paar Millimeter.
Je öfter du dies bewusst in deiner Asanapraxis übst, desto natürlicher wird es für dich deinen Körper wahrzunehmen und desto öfter wirst du seine Signale auch abseits der Matte hören und interpretieren können.
Zitat 3:
Die Asanas sind nützliche Karten um dich selbst zu erkunden,
sie sind aber nicht das Gelände.
Donna Fahri
Mag ich eine Asana nicht, war schnell mein erster Gedanken „kein Bock“, einhergehend mit dem Gefühl von Wiederstand, etwas tun zu müssen auf das ich keine Lust hatte und nicht selten bin ich dann auch direkt rausgegangen. Nicht das mir dieses Muster irgendwie aufgefallen wäre, geschweige denn dass ich darauf geachtet hätte was genau an der Haltung mir nicht zusagt. Es war einfach „ein Gefühl von Nein & zack war ich raus aus der Haltung“, was vollkommen normal ist.
Unser Gehirn ist nämlich mega effizient, um Zeit zu sparen, merkt es sich wie wir in der Vergangenheit auf bestimmte Situationen, Gedanken und Gefühle reagiert haben und spult die gleiche Reaktion in ähnlichen Situationen einfach wieder ab. Wir brauchen gar nichts dafür zu tun.
Man hat herausgefunden dass wir ab einem Alter von ca. 35 Jahren zu 95% auf Autopilot laufen und immer wieder die gleichen Gedanken auf Schleife in unserem Kopf wiederholen. Entsprechend handeln wir auch immer gleich. Wir nennen das liebevoll „Routine“, oder „ich bin so!“.
Yogaasana gibt uns die Möglichkeit diesem Zyklus aus unterbewussten Reaktionsmustern auf die Schliche zu kommen und uns quasi neu zu programmieren. Wenn wir in einer Haltung sind, haben wir die Muße zu schauen was wir denken, fühlen und wie wir darauf reagieren und unsere (Reaktions-)Muster entweder für gut zu befinden, oder daran zu arbeiten sie zu ändern.
Mein Muster aus Unangenehm/Herausfordernd → Raus/abbrechen, beziehte sich nicht nur auf Haltungen, sondern auf so ziemlich alle Situationen in denen ich mit etwas herausforderndem, oder unangenehmem konfrontiert wurde.
Reflektions-fragen in der Asana
Es lohnt sich also in Asanas auf seine Gefühle und Gedanken zu achten. Was fühle ich wenn mir die Asana nicht zusagt? Werde ich bockig? Frustriert? Wütend? Traurig?
Welche Gedanken kommen mir? Ich bin so schlecht, oder schwach? Warum ausgerechnet immer ich? Reiß dich zusammen? Es lohnt sich doch eh nicht?
Wie reagierst du? Gibst du auf? Augen zu und durch, egal zu welchem Preis? Bleibst du trotzdem entspannt? Und wie möchtest du eigentlich agieren?
Das gleiche gilt für Asanas die du besonders gerne machst? Schaltest du ab und wanderst mit deinen Gedanken? Bleibst du trotzdem präsent? Wie reagierst du wenn du aus ihnen raus musst? Gelassen? Hältst du an ihnen fest?
Wie reagierst du wann, warum, das kannst du in der Asanapraxis erkunden. Ich habe gelernt mir die Zeit zu nehmen um zu unterscheiden ob ich etwas abbrechen will, nur weil es gerade etwas herausfordernd wird, oder weil es wirklich nicht das richtige ist. Das hat dazu geführt dass ich in Haltungen, aber vor allem auch Abseits mehr Stamina und Durchhaltevermögen aufgebaut habe. Statt blind zu reagieren, entscheide ich nun (meistens zumindest) wie ich agieren möchte.
Es geht auch gar nicht immer so sehr darum ein Verhalten zu ändern. Uns zu erkunden bedeutet auch und vor allem unsere automatisierten inneren Abläufe für uns selbst wahrnehmbar zu machen. Welche Gedanken schwirren in meinem Kopf? In welcher Sprache rede ich mit mir? Was ist mein go to Gefühl, was meistens vorherrscht? Höre einfach nur zu und schau was deine Praxis dir über dich zu erzählen hat.
Zitat 4:
Let go & let be
Was sich wie das einfachste anhört, ist oft das schwierigste „let go & let be“. Oder im Yogasprech „Abhyasa & Vairagya“ Beständigkeit & Gelassenheit. Regelmäßig unsere Matte ausrollen und gelassen üben, ohne ein bestimmtes Ziel zu verfolgen. Einfach nur Bewegen, atmen, wahrnehmen und die Haltungen auf uns wirken lassen. Das ist die große Kunst der Asanapraxis.
Oft stehen wir unserem Erleben selbst im Weg, indem wir in unserem Kopf direkt eine Geschichte dazu entstehen lassen. „Heute ist aber wirklich intensiv“; „diesmal schaffe ich den Übergang beim ersten Anlauf“; „Wieso redet die Lehrerin so viel“; „wenn die Stunde gleich vorbei ist, fahre ich noch schnell beim Supermarkt vorbei“; „Heute werde ich auf jeden Fall gut schlafen“. All das sind Geschichten und all das lenkt uns davon ab was wir im Moment tatsächlich in uns physisch, geistig und energetisch erleben.
Mir hat letztens eine meiner Yogaschülerinnen gesagt: sie braucht die Herausforderung und Anstrengung um sich lebendig zu fühlen. Alleine dieser Satz hat schon einen ganzen Artikel für sich verdient, aber heute nur so viel dazu: alleine dadurch das wir wach sind und atmen sind wir schon lebendig, wir nehmen es nur durch all den Lärm in & um uns nicht mehr war. So next time you roll out your matt: let go & let be, einfach nur bewegen, atmen & wahrnehmen.
Mein persönliches Zitat zum Schluss
Yoga wird nicht umsonst eine Praxis genannt.
Yoga ist ein stetiges Üben und wir werden manchmal scheitern und häufiger Fehler machen. Wir werden nicht immer alles in jeder Praxis berücksichtigen. Und das ist Ok!!!
Und dann werden wir Asanastunden haben die einfach perfekt waren, in denen wir uns vollkommen ruhig und lebendig gefühlt haben, ohne etwas dafür getan zu haben.
Wir werden im Alltag Momente erleben in denen wir die Früchte unserer Praxis ernten, weil wir nicht aus der Bahn geworfen wurden, weil wir uns hingegeben und genossen haben, weil wir bewusste Entscheidungen getroffen haben, weil wir gewachsen sind.
Das ist Yoga!